Kurt Tucholsky: Das Ideal

von Kurt Tucholsky, 1927.gelernt Nov. 2019

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Berliner Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer, – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
WLAN, Zentralheizung, Solarium,
das Hauspersonal, wohl erzogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve
(und eine fürs Wochenend, als stille Reserve)
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad – alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Gehst morgens zur Jagd, danach auf die Yacht.

Ja, und fast hätt ich‘s vergessen:
für Dich gibt’s immer nur bestes Essen
trinks alte Weine aus schönem Pokal
und doch bleibst du schlank, dünn wie ein Aal.

Und Geld. Und an Schmuck ‚ ‚ne richtige Portion.
Und noch ‚ne Million und noch ‚ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!

Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.

Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.

Etwas ist immer.
Tröste dich
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat –
das ist selten.

( MITI )