Archiv der Kategorie: Lyrik

Theodor Fontane: Erfolganbeter

Theodor Fontane, 1855, gelernt März 2023

Nie hab‘ ich ein dümmeres Stück gelesen.
„Das Haus ist ausverkauft gewesen.“

Farbe, Linien, alles verschwommen.
„Die Jury hat es angenommen.“

Ein Skandal ist seine Art zu leben.
„Der Botschafter hat ihm ein Fest gegeben.“

Glauben Sie mir: er ist ein Kujon.
„Hat aber eine Taler-Million.“

( MITI )

Am Brunnen vor dem Tore

Bild generiert von einer KI (midjourney -v5)

Wilhelm Müller, 1823, gelernt März 2023

Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.

Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.

Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.

Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh’!

Die kalten Winde bliesen
Mir grad’ in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.

Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!

( MITI )

Hermann Hesse: Stufen

Hermann Hesse, 1941, gelernt März 2023

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

( MITI )

Freiherr von Kürenberg: Der Falke

Von Freiherr von Kürenberg, etwa 1152, gelernt Januar 2023

Ich zog mir einen Falken
Länger als ein Jahr,
Und da ich ihn gezähmet,
Wie ich ihn wollte gar,
Und als ich sein Gefieder
Mit Golde wohl umwand,
Stieg er hoch in die Lüfte,
Flog in ein anderes Land.

Seither sah ich den Falken
So schön und herrlich fliegen,
Auf goldrotem Gefieder
Sah ich ihn sich wiegen,
Er führt an seinem Fuße
Seidne Riemen fein:
Gott sende sie zusammen,
Die gerne treu sich möchten sein!

( MITI )

Ludwig Uhland: Apfelbaum

Ludwig Uhland, 1822, gelernt Februar 2022

Bei einem Wirte wundermild
Da war ich jüngst zu Gaste.
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum
Bei dem ich eingekehret
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das Beste.

Ich fand ein Bett in süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten
Der Wirt er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt ich nach der Schuldigkeit.
Da schüttelt er den Wipfel
Gesegnet sei er allezeit
von der Wurzel bis zum Gipfel.

( MITI )

Friedrich Freiherr von Logau: Heutige Weltkunst

Friedrich Freiherr von Logau,1654, gelernt Februar 2022

Anders sein und anders scheinen,
Anders reden, anders meinen,
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,

Allem Winde Segel geben,
Bös‘ und Gutem dienstbar leben,
Alles Tun und alles Dichten
bloß auf eignen Nutzen richten.

Wer sich dessen will befleißen,
kann politisch heuer heißen.

( MITI )